Zusätzlich wird einmal kräftig an der Leine geruckt, die an einem dünnen Halsband befestigt ist. Der Mann beugt sich über Ben, packt ihn am Halsband und drückt seinen Popo zeitgleich kräftig runter.
"SITZ! So. Nein, S I T Z !!" wiederholt er wütend und zwingt den hibbeligen Hundepopo energisch zu Boden.
Ich versuche zu intervenieren und sage: "Er ist doch noch so jung und aufgeregt. Sitzen fällt ihm wirklich sehr schwer in dieser Situation."
Die Antwort: "Das muss er lernen!"
Und ich stehe da und seufze tief. Und denke, armer kleiner Wauzi.
Leider steht dieses Duo nicht auf meinem Hundeplatz, sondern in einem Tierbedarfsladen und ich habe weder Handhabe, noch Erziehungsauftrag für einen der beiden.
Ich sag's euch ganz ehrlich - es fällt mir oft sehr schwer, die Klappe zu halten und nicht von meinem Job als Fachberaterin auf "Frau Träääner" umzuswitchen und dem netten Herrn erstmal einen Vortrag über vernünftige Erziehung und einen fairen Umgang mit Hunden halten zu können.
Dennoch versuche ich dann immer, die Situation so gut es eben geht für den Hund zu gestalten. So gut, wie es mir möglich ist. So gut, wie mich die Hundehalter es tun lassen.
Täglich sehe ich, wie unüberlegt und unfair Hunde behandelt werden und wie sie sich dabei fühlen müssen. Wie sie ihre Ohren zurücklegen, sich wegducken oder sich aufregen und bellen und knurren, weil sie mit der aktuellen Situation im Laden oder draußen völlig überfordert sind.
Ihre Halter sehen dann nur den ungehorsamen Hund, den man zur Vernunft und zum Gehorsam zwingen muss - ich sehe ein völlig überfordertes, unverstandenes Lebewesen, das versucht zu zeigen, wie es ihm gerade geht und entweder eher subtil oder auch mal sehr energisch um Hilfe ruft.
Leider lässt es meine Zeit momentan nicht zu, Einzeltrainings zu geben. Denn momentan bin ich es, die Hilfe und Ruhe braucht und ich darf gerade lernen, mich um mich selbst zu kümmern. Doch das ist ein anderes Thema.
Dennoch macht es mich traurig und manchmal auch wütend zu sehen, wie lapidar Hunde verurteilt werden, reduziert werden auf gutes oder schlechtes Verhalten.
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"Fass mich nicht an!" / Foto (c) Fischer |
Verhalten hat immer eine Ursache!
Verhalten soll einen Zustand verändern, ein Bedürfnis stillen, einen Ausgleich herbeiführen, und immer die aktuelle Situation verbessern, in der der Hund gerade drin steckt!
Wenn ein Hund "unerwünschtes Verhalten" zeigt, dann deswegen, weil er in Situationen gebracht wird, mit denen er allein nicht zurecht kommt und die er nach seinem Denken zu lösen versucht.
Da hilft es weder, ihn dafür noch zu bestrafen oder zu versuchen, ihn wieder liebzustreicheln...
Der muss aber.... was denn? Gesellschaftsfähig sein? Einen nicht blamieren? Gehorsam sein? Fügsam? Brav...um jeden Preis?
Wir Menschen, die wir unsere Hunde selbst aussuchen und in unser Leben holen, bestimmen ihren ganzen Tagesablauf - vom Aufstehen und Ruhen über die Art und den Zeitpunkt der Futteraufnahme und wann er mal Pinkeln darf und wann gefälligst nicht ...
Ständig Sitz, Platz, komm, nein, aus, weg da, lass das, pfui, Schluss jetzt - was dürfen denn unsere Hunde überhaupt noch?
Vor allem - wann haben sie ein Mitspracherecht?
Wir diktieren doch nahezu den ganzen Tagesablauf und wundern uns dann, wenn sie eigene Ideen haben und diese umzusetzen versuchen...? Ernsthaft?!
Hast Du Deinen Hund mal ernsthaft gefragt, ob und wann er gern Gassi gehen würde und wo?
Hast Du ihn gefragt, was er gern essen mag und was eher nicht so gern?
Darf er auch mal den Weg und die Richtung des Gassigehens bestimmen?
Darf er entscheiden, welches Leckerli er heute gern hätte und wann er kuscheln oder in Ruhe gelassen werden möchte?
Welche Beschäftigungen mag dein Hund wirklich?
Hunde brauchen gewisse Dinge von uns, und das ist weit mehr als nur zwei Runden um den Block im Eilschritt, ein bisschen Trockenfutter und Wasser.
Folgende Grundrechte sollten jedem Hund zugestanden werden:
Freundliche Ansprache und Umgang, das möchten wir schließlich auch. Strenge Kommandos sind ein Relikt aus den Siebzigern. Freundlich und ruhig geht alles viel besser.
Unterschätze nie, wie sehr unsere Hunde uns beobachten und wahrnehmen, wie wir Menschen auf gewisse Situationen reagieren. Sie übernehmen schnell unsere Strategien und Stimmungen.
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Ruhe vorleben beim Jagdersatz-Training ist wichtig / Foto (c) Hahn |
Gesehen werden, denn ignorieren ist eine der schlimmsten Strafen für ein soziales Lebewesen. Lächle Deinen Hund doch mal an oder zwinkere ihm zu, wenn er Dich anschaut. Glaub mir, er versteht und übrigens, auch Hund können lächeln und lachen :)
Achtsam und klar geführt werden. Hunde brauchen einen klaren Leitfaden in unserer Welt, damit es nicht zu Konfrontationen und Unfällen kommt. Das muss der Mensch übernehmen, indem er freundlich und konsequent Grenzen aufzeigt und dem Hund Sicherheit und ausreichend Raum zur Entfaltung bietet - unter Beachtung, dass auch andere Menschen und Hunde ihren Freiraum haben und sich dieser nicht ungefragt mit dem eigenen überschneiden sollte.
Liebevoll und achtsam berührt zu werden, ist lebenswichtig, nicht nur für unsere Hunde. Achtsame Berührungen sind willkommener Körperkontakt, liebevolle Zuwendung, und das bedeutet gleichzeitig, ich nehme wahr, wann, wo und wie mein Hund berührt werden möchte und wann, wie und wo eben nicht!
Einfach mal das Fell durchwurschteln oder den Kopf tätscheln sind eher grobe Übergriffe und werden von freundlichen Hunden nur geduldet, aber nicht genossen.
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Lachende Gioya :) / (c) Foto Schnaubert |
Sich frei bewegen und schnüffeln dürfen, und das ausgiebig, bei jedem Spaziergang, ohne ständig irgendwelche Kommandos befolgen zu müssen.
Hunde sind nun mal Nasentiere und erkunden ihre Umgebung zu großen Teilen über den Geruchssinn.
"Frei bewegen" kann auch bedeuten, an einer langen >> Schleppleine, wenn es anders (noch) nicht geht.
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Schnüffeln dürfen - ein Grundbedürfnis! / Foto (c) Hahn |
Schmackhafte Nahrung und stetiger Zugang zu Wasser. Muss Dein Hund wirklich jeden Tag das Gleiche essen? Warum?
Klar ist in vielen (nicht in allen!!) Futtersorten alles drin, was der Organismus zum Leben braucht, aber mal ehrlich - möchtest Du jeden Tag Linsensuppe essen, selbst wenn es Dein Leibgericht wäre...?
Ein bisschen Genuss und Abwechslung tun jedem Lebewesen gut, helfen Mangelerscheinungen zu vermeiden und ernähren auch die Darmflora, die unserem Immunsystem hilft gesund zu bleiben.
Geschützt Erfahrungen machen, ohne überbehütet zu werden.
Wie wir lernen Hunde durch Ausprobieren, Versuch und Irrtum. Lass Deinen Hund die Welt erkunden, so gut es geht und möglich ist, ohne dass er oder die Umwelt in Gefahr gerät. Dazu gehören auch Frust-Erfahrungen, wenn etwas nicht erreichbar oder "blöd" ist.
Zeige ihm, was er gefahrlos machbar kann und setze ihm liebevoll konsequent Grenzen, wo es nötig wird.
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Welpen-Stadttraining, ganz achtsam / (c) Landgrafe |
Ein ruhiger, störungsfreier, warmer und trockener >> Schlafplatz. Dein Hund sollte die Möglichkeit haben, sich zurückziehen zu können, ohne dass er von jemandem gestört wird. Das sollte klar sein, besonders in Haushalten mit Kindern oder viel Besuch.
Hunde brauchen bis zu 20 Stunden Ruhe am Tag. Gestresste Hunde, die immer wieder in ihrer Ruhephase gestört werden, können Aggressionen entwickeln, genau wie Menschen mit zu wenig Schlaf...
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Entspannt, ruhig und geschützt / (c) Landgrafe |
Aber er muss doch...?
Muss er wirklich ständig "Sitz" und "Platz" machen?
Muss er alle Hunde toll finden?
Und muss er zu allem, was mit ihm und um ihn herum geschieht, wirklich immer "Ja und Amen" sagen?!?
Wieso eigentlich?
Ich würde mir wünschen, wenn Du einmal über folgendes nachdenkst:
- Wann und wie oft gebe ich meinem Hund ein "Kommando" und wieso?
- Ist dieses "Kommando" wirklich in dieser Situation absolut notwendig und warum?
- Braucht es wirklich immer dieses Kommando oder gibt es Alternativen dazu?
- Und ist es ein Kommando oder eine Bitte um Kooperation?!?
Ich gebe Dir gern ein paar Beispiele, damit Du verstehst, auf was ich hinaus will.
Meine Hunde müssen am Bordstein stehenbleiben, bevor ich eine Straße überquere - weil sie sonst überfahren würden. Sie können dabei aber stehenbleiben, weil sie sich weder auf eine klatschnasse Straße noch in den Schnee setzen müssen. Würde ich nämlich auch doof finden. Zudem ist unser neuer Herdie zu nervös zum Sitzen und mein Setter hat eine kaputte Hüfte - also ruhig stehen. Das reicht.
Ich rufe oder >> pfeife meine Hunde nur selten beim Spaziergang heran, wenn nichts weiter anliegt. Kommen Menschen, egal ob mit oder ohne Hund, habe ich sie gern nah bei mir, ansonsten dürfen sie herumtrödeln oder ein Stück voraus laufen. Ständiges Rufen und Pfeifen stumpft nur die Wirkung des Signals herab. Kann ich einen gewissen Radius um mich herum noch nicht gewährleisten, kommt eine >> Schleppleine an den Hund. Punkt.
Meine Hunde warten kurz beim Füttern, während ich die >> Näpfe hinstelle, wobei "kurz" etwa drei Sekunden sind *lach*. Wozu soll ich sie beim Servieren ihrer Mahlzeit lange warten lassen? Es genügt mir, dass sie mich in Ruhe die Näpfe abstellen lassen und keinen Kopfsprung versuchen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, einen Hund vor dem Napf sitzen und lange warten zu lassen.
Also schau mal, wo Du über den Tag verteilt völlig überflüssig Deinen Hund reglementierst und dann lass es doch einfach sein ;)
Dein Hund wird sich freuen.
herzlichst,