Montag, 25. September 2017

Individuelles Training oder "Der Trainer hat gesagt, das macht man so!"

Joker in seinem Element

Ein viel gehörter Satz als Hundetrainer und Hundebesitzer, wenn es ums Training geht.
"Der hat gesagt, das macht man so!"
Und ich denke - na, da hat aber einer wieder nur halb zugehört. Denn "man" bedeutet eine Verallgemeinerung, und bei Hunden kann man nicht verallgemeinern, denn jeder Hund ist anders.
Ein Beispiel aus dem Mantrailing Training, wo die Hunde lernen, der Spur einer bestimmten Person zu folgen und diese zu finden. Meine Gruppe ist absolut unterschiedlich, was die Charaktere der Hunde betrifft. Da haben wir den Workaholic, den Sensiblen, die leicht Ablenkbare, die absolute Jägerin, den Stressvogel…
Würde ich alle diese Hunde gleich trainieren, gäbe es ein Problem - beim Workaholic würde zu viel Stress aufkommen, beim Stressvogel der bestehende Stress zu hoch werden und der Sensible hätte gleich gar keine Lust mehr zu trailen. Also gibt es für jeden Hund ein eigenes Startritual und eine eigene Arbeitsweise.
Start- und Endritual sind wichtig für den Hund, um zu wissen, wann er "im Job" ist und wann dieser endet. Gestartet wird das "Suchspiel", indem der Hund ein Geschirr angezogen bekommt oder (falls er immer im Geschirr läuft) ihm z.B. ein Halsband oder Halstuch angezogen wird. Beendet wird, indem man den Hund über Futter oder Spielzeug belohnt und diese Dinge wieder auszieht. 
Normalerweise, in der Regel… wenn es da nicht eben die unterschiedlichen Charaktere gäbe.
Ende der Suche - Absitzen und ruhig futtern
Der Stressvogel stresst sich beim Start enorm hoch, bellt, heult, hüpft und ist völlig von der Rolle. Keine Konzentration, nur endlich losrennen und finden wollen. Über diesen Stress überläuft er auch Abzweige und "verläuft" sich, was ihn noch mehr stresst.
Also behält er jetzt zunächst die ganze Zeit sein Arbeitsgeschirr an und wird nur vom Halsband ins Geschirr umgeklinkt. 
Er wird zügig an seine Aufgabe herangeführt und darf sofort loslaufen, ohne warten zu müssen. Seine Motivation ist hoch genug, dass ich ihn auch mal von der Spur abkommen lasse, wenn er zu schnell ans Ziel will. 
So lernt er, langsamer und konzentrierter mit seiner Nase zu arbeiten. Belohnt wird beim Finden ganz ruhig über viel Futter, damit er sich beruhigen kann.

Die Ängstliche braucht Ruhe während des ganzen Trails und Freiraum. Jeglicher Druck würde den Hund einschüchtern und in der Suche behindern. 
Also entscheidet sie selbst, wie schnell oder langsam sie sucht, wie nah sie an die Suchperson heran geht und wie sie belohnt werden möchte. 
Mal kann sie ihr Lieblingsfutter essen (wenn sie den Menschen schon kennt), mal möchte sie ruhig gestreichelt und gekrault werden (wenn sie den Menschen schon recht gut kennt) und bei Fremden möchte sie einfach im Abstand sitzen und zeigen und dann zügig zurück zum Auto.
Angstmaus Milla - gefunden, aber es war gruselig!
Der Sensible behält ebenfalls sein Trail-Geschirr die ganze Zeit über an, wird nicht umgeschnallt, da er immer ein Geschirr trägt, das Geschirr wird auch nicht nach jedem Trail umgewechselt.  Er darf einfach Spaß haben und suchen, momentan ohne Regeln, und bekommt eine Riesenfete beim Auffinden der "vermissten Person" über Futter, einen Dummy und viel Freude beim Hundeführer, Trainer und der Zielperson.
Würde ich ihn beim Suchen zu weit von der Spur abkommen lassen, hätte er schnell Frust und keine Lust mehr. Auch das ständige Umschnallen vom Laufgeschirr ins Arbeitsgeschirr ist für diesen Hund einfach zu viel und würde mit Arbeitsverweigerung quittert.
Der Workaholic bekommt ein ruhiges Startritual mit Absitzen, Geschirr anziehen, umklinken und Schwierigkeiten auf dem Weg, und er muss beim Finden vor der Person absitzen, ehe die Belohnung kommt.
Und die Jägerin muss ebenfalls beim Start ruhig sein, ehe sie Vollgas geben darf - sie sucht von sich aus konzentriert über ihre Nase und dabei lässt sie auch Wild außer Acht - und bekommt natürlich wieder eine Riesenfete beim Ankommen.
"Was für ein Durcheinander!", meinte jetzt noch eine junge Dame, die in mein Training hinein schnuppern wollte. "Mir hat man gesagt, man muss immer das Geschirr nachher ausziehen!"
Wobei wir wieder beim "man" und dem Verallgemeinern wären, was ich ihr auch zu erklären versuchte.
Es gibt nicht "das eine Konzept" im Training oder der Erziehung oder bei der Bewältigung von Problemen. Es geht immer um den einzelnen Hund, seinen Menschen und die Umgebung, in der beide leben und miteinander arbeiten.
Individuell die Aufgaben anzugehen ist kein Luxus, sondern ein Erfolgs-Prinzip. Wer Ihnen weißmachen will, er habe "das eine Konzept" für alles, bei dem sollten Sie vorsichtig sein.
So mag nicht jeder Erdbeerjoghurt - jeder würde ihn aber essen, wenn er dazu gezwungen würde oder keine andere Wahl an Nahrung mehr hätte. Ob demjenigen davon aber vielleicht schlecht wird, oder er allergisch reagiert, bliebe abzuwarten… und außerdem wäre es ja dann seine eigene Schuld!
Nisha - Freude pur beim Finden
So reagieren manche Trainer - wenn Ihr eingefahrenes Prinzip bei dem einen oder anderen Hund nicht klappt, heißt es schnell:  "Der Hund ist zu blöd oder stur", "Der gehört halt zu einer schwer erziehbaren Rasse" oder auch  "Der Halter ist zu blöd!".
Aber jeder Hund ist ein bisschen anders als der andere, und jeder Mensch auch. Und beide sollten das Recht auf ein speziell zugeschnittenes und angepasstes Training haben.
Wenn Ihnen also mal wieder jemand sagt: "Das macht man aber so!", können Sie getrost sagen:
"Wir machen es halt anders. Schönen Tag noch…"