Donnerstag, 16. November 2017

"Atme doch mal!" oder Geduld ist eine längst vergessene Tugend

Da stehen wir an der Straße - also ich und eine Kundin mit einem 11 Monate jungen Mixhund - im Dunklen, direkt gegenüber beginnt die blinkende und gut besuchte Fußgängerzone des Einkaufszentrums, und ich höre innerhalb von 3 Sekunden das vierte "Sitz!"

Hmpf. 
Ich melde mich leise zu Wort, erkläre, dass der Hund gerade sehr viele Eindrücke bekommt und sich erstmal sammeln muss, ehe er ein Ohr für Frauchen hat. 
Frauchen nickt, schaut auf ihren staunenden und wuseligen Hund - und sagt nachdrücklich: "Siiiiitz!" 
Äh ja ... nee ... och menno!


An der Straße gibt's viel zu bestaunen / Foto: (c) Landgrafe


Ich sag's euch ehrlich - ich glaube, in unserer schnelllebigen Zeit ist die Geduld verloren gegangen. 
Irgendwo zwischen dem ständig pling-machenden Smartphone, dem 24-Stunden-Internet und dem "noch-schnell-was-erledigen-müssen". Vielleicht liegt sie auch etwas verstaubt und mit kleinen Kekskrümelanhaftungen tief vergraben in einer Mantel- oder Handtasche. 

Wann genau ist das eigentlich passiert, frage ich mich manchmal. 
Wann wurden Erwachsene so ungeduldig und Kinder erst recht, weil die Erwachsenen es ihnen nicht mehr beibringen?
Alles muss immer schnell und sofort sein, am besten schon gestern und ohne Anstrengung. Und wenn das nicht klappt, schlägt einem oft Aggression entgegen, in Form von Drängeln, Schubsen und dummen Sprüchen, manchmal sogar durch Anbrüllen oder ernsthafte Handgreiflichkeiten.

Wenn Menschen schon so miteinander umgehen, wundert es mich wenig, dass Tiere ebenso und noch schlimmer behandelt werden, weil sie ja eben "nur" Tiere sind ... und dass es immer mehr Hunde mit mangelnder bis gar nicht vorhandener Impulskontrolle gibt, die frustriert und wütend bellen und schnappen, weil sie nicht sofort das Leckerli bekommen oder nicht zum nächsten Artgenossen hinrennen dürfen.

Ein Weltbild, das mir so gar nicht gefällt. 
Und meine Chance, etwas wieder gut zu machen - ich kann Menschen helfen zu erkennen, was da eigentlich gerade schief läuft - in ihrer Beziehung zum Hund, im Training und manchmal auch bei sich selbst. 

Ja, da schlucken manche schwer. Selbsterkenntnis ist nicht immer schön. Aber enorm wichtig, um sich weiter zu entwickeln und zu verbessern.

 
Training in der Fußgängerzone, anstrengend für Mensch und Hund / Foto: (c) Landgrafe


Wenn es dir niemand spiegelt und sagt, und zeigt - woher sollst du es wissen? Man ist selbst so oft in der Stress- und Zeitfalle gefangen und funktioniert nur noch, anstatt mal inne zu halten, zu atmen und zu sich zu kommen. 

Also übe ich mit meinen Kunden vor und in schwierigen Situationen das Atmen, und zwar tiiiief in den Bauch hinein und dann den Atem laut und lang rausfallen lassen - HACHHHHHhhhhhhh!*
Einige schmunzeln etwas verschämt, aber ich bestehe darauf und atmte laut mit. Und siehe da, Schultern werden lockerer und senken sich etwas, die ganze Körperhaltung wird etwas weicher (denn das Schmunzeln macht ja positive Gefühle) und dann merken die Kunden, manchmal etwas verwundert, dass ihr zuvor wuseliger, bellender Hund plötzlich auch ruhig wird und sich vielleicht sogar hinsetzt oder ablegt.

Also, liebe Hundemenschen - atmet doch bitte mal!
Wenn ihr ehrlich zu euch seid, dann stresst und überfordert es uns doch alle, diese "schnelle Gesellschaft", in der alles Zack-Zack gehen muss.
Sehnen wir uns nicht auch zwischendrin nach etwas Ruhe statt der Hektik? 
Also ich schon.

Was glaubt ihr, wie es euren Hunden dabei geht?
Stress überträgt sich. Ärger auch. Und wer gestresst ist, der ist auch schneller gereizt und dann wütend, wenn etwas quer geht. 
Da geht es Hunden ebenso wie uns Menschen.

Zeit ist etwas kostbares und ein Geschenk, wenn man sie weise nutzt. Also schenkt euren Hunden doch bitte ein wenig mehr Zeit, um zu schauen, zu beobachten und verdauen, was sie da an hektischer Welt sehen müssen. Um zu schnuppern und nachzudenken, um gesehenes und gehörtes einzuordnen und abzuhaken. 

Bitte zerrt sie nicht einfach weiter, weil ihr weiter wollt. Wenn ihr es eilig habt und sie eurer stimmlichen Aufforderung nicht folgen (können), dann schiebt sie doch sanft von hinten an und ermuntert sie, mit euch zu gehen.

Wiederholt nicht zehn Mal ein Kommando mit immer drohenderer Stimme und vorgebeugter Körperhaltung, wenn sie es schon beim dritten Mal nicht umsetzen können - weil sie zu aufgeregt oder abgelenkt sind. Wartet, bis sich die Aufregung etwas gelegt und der Hund sich entspannt hat - dann hat er auch wieder ein Ohr für euch.

Wenn sie gestresst bellen oder herum springen, legt doch mal eine Hand ruhig auf den Hund - nicht wuscheln oder streicheln - nur da sein, mit dem Hund sein - ATMEN! Runterfahren. Aus der stressigen Situation herausgehen.

Das kann man üben. Ruhe kann man lernen.


Klein-Nisha, völlig erschöpft vom Stadttraining, darf ausruhen... / Foto: (c) Landgrafe


Ich wünsche euch jedenfalls, dass ihr es schafft, etwas mehr Ruhe in euch und mit eurem Hund zu haben. Auch wenn es manchmal etwas stressig zugeht.
Denkt dran - atmen. Dann wird alles ein klein wenig leichter...


 *Danke an meine Kollegin Brigid Weinziger von denktier.at, die das im Webinar so schön vorgemacht hat.