Dienstag, 6. November 2018

Böse Gefahrenquellen oder Der Tod lauert im Wald...

Wieso müssen wir eigentlich immer körperaktiv Gefahrenquellen aufdecken, meine Hunde und ich?

Es wird geschmollt ... / Foto (c) Landgrafe

 Ich weiß das von mir selbst ja schon länger - ich bin ein lebender Gefahrenquellen-Detektor!

Wenn es irgendwo eine Gefahrenquelle gibt, an der man sich stoßen, schneiden, ratschen oder sonstwie verletzen kann - ICH finde die garantiert. Oder besser, ein Teil meines Körpers. Was schon doof ist, denn in der Regel tut es dann weh und endet mit Arnica Globuli, Kühlakku, Pflaster oder Verband - Gips hab ich bisher zum Glück ausgelassen.

Aber wieso müssen meine Hunde es mir nachtun - und dann auch noch so heftig...

Ein kleiner Schnitt am Pfotenballen, Schürfwunden und eine Nagelbettentzündung vom deftigen Bremsen nach dem Highspeed-Rennen, Brombeerdornen in der Haut, weil man unbedingt hinter dem Reh her musste, Verstauchungen, Prellungen, kleinere Ratscher und Risswunden beim gnadenlosen "durch-den-Wald-preschen-müssen", weil man dachte, man hätte was gesehen...

Alles nicht so schlimm bisher, kleine Blessuren, die bisher allesamt gut abgeheilt sind.

Ich bin ja umsichtig.
Ich werfe keine Stöckchen oder sonstigen gefährlichen Sachen, gebe kein Spielzeug, das sie zerlegen und fressen können, werfe das Dummy nur dorthin, wo ich sehen kann, dass nichts Gefährliches herum liegt, passe auf sie auf wenn sie Kauartikel bekommen, dass sie nicht dran ersticken, sichere meine Hunde, wenn ich glaube, dass sie jagdlich etwas zu motiviert sind an diesem Tag, blocke kläffende "Tut-nixe" von ihnen ab und lasse sie an der Straße immer innen, also vom Verkehr weg, gehen.

Aber ich sag's euch ehrlich -  wenn's passieren soll, passiert es, egal was du tust.

 Ich mache den Morgenspaziergang, beide Hunde laufen frei und tollen durch den Wald. Alles ganz normal. Denke ich.
Ich fahre heim, hänge die Wäsche auf und mache mir dann Frühstück.
 Den Hunden gehts gut, alles wie immer. Denke ich ...
Ich setze mich hin und will den ersten Bissen nehmen, da fällt mir auf, dass meine Setterhündin sich unablässig putzt. Hm - Zecke? Schramme? Kletten?
"Lass mich mal sehen", sage ich zu ihr und bereitwillig legt sie sich auf den Rücken.  

Und ich erstarre.
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals, mir bleibt der Atem stecken für ein paar Sekunden.

Sie hat nichts gesagt. 
Sie hat nicht gehumpelt. 
Sie hat sich bis jetzt nicht das Geringste anmerken lassen.
Und doch klafft da eine gigantische Risswunde vor mir weit auf, von der vorletzten hinteren Zitze bis mitten in den inneren Oberschenkel !


"Notfall-Raff-Naht" / (c) Landgrafe

 Ich schalte um, bin ja Ersthelfer, reagiere nur noch.

Ein Blick über die gesamte Wunde - keine akuten Blutungen zu sehen.
Sofort die weiche Halskrause drauf, damit sie die Wunde in Ruhe lässt.
Der Griff zum Telefon, die Notfallnummer der Klinik ist programmiert, dann klare kurze Ansagen an die Tierarzthelferin:

"Gioya hatte im Wald einen schlimmen Unfall. Große Risswunde vom Bauch bis in den Schenkel, der Bauch scheint aber nicht durchdrungen zu sein. Keine akuten Blutungen. Macht einen OP klar, ich bin in spätestens 15 Minuten bei euch!"

Ich setze die arme tapfere Maus ins Auto und rase los. Ich weiß, ich muss langsam und besonnen fahren. Sie blutet ja nicht akut. Trotzdem...

Erst als der Tierarzt sie untersucht und "Scheiße, das sieht übel aus" murmelt, löst sich meine Anspannung und ich fange an zu heulen. Sofort versichert er mir, dass es nicht lebensbedrohend und reparabel ist. Aber jetzt hab ich die Verantwortung abgegeben und darf schwach sein - und weinen, es rauslassen, den Schock und meine Angst um Gioya.

Eine Stunde achtunddreißig Minuten lang wird sie notopperiert, meine arme kleine Settermaus.
Ich bin sofort nach dem OP bei ihr und halte ihre Pfote beim Aufwachen, sage ihr, dass ich da bin und auf sie aufpasse. Sie braucht lange, um aus der Narkose und auf die Beine zu kommen, fast dreieinhalb Stunden.

Noch benommen nach der Not-OP / (c) Landgrafe

Sie ist so tapfer, will einfach nur bei mir sein. Und ich halte sie warm, sage ihr, wie lieb ich sie hab. Und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, ein "Danke", dass sie sich nicht die Beinarterie aufgerissen hat. Denn dann wäre sie binnen weniger Augenblicke auf dem Waldweg verblutet und ich hätte nichts, rein gar nichts für sie tun können.

Es dauert mehrere Wochen, bevor die schreckliche Wunde vollständig abgeheilt ist und nur noch ihr kurzes Fell an den Unfall erinnert. Doch das Trauma bleibt - bei mir.

Ich frage mich bei jedem Spaziergang - an welchem verfluchten Ast hat sie sich verletzt? War es ein liegender Baumstamm, von dem noch kurze spitze Äste aufragen? Ein hochstehender Stock? Was?? Und wieso hat sie nichts gesagt? Das muss doch schrecklich weh getan haben!

War es so ein toter Baum...? / (c) Landgrafe

Ich versuche, mir nicht die Schuld zu geben. Vergebens. 
Ich kann die Hunde nicht in Watte packen. Wenn es passieren soll, passiert es.
Doch es kostet mich enorme Überwindung, sie nach Wochen an der Leine wieder frei laufen zu lassen und ihr Spielzeug zu werfen.
Ich hab immer noch Bedenken, untersuche sie nach jedem Spaziergang gründlich auf Verletzungen. Jeden Tag.
Immer noch.
Bis heute.


Und bin so endlos dankbar, dass sie noch da ist.
Dass ich sie behalten durfte.
Dass sie überlebt hat.


Kann ich sie vor einem weiteren Zwischenfall beschützen?
Nur, wenn ich ihr lebenslangen Leinenzwang auferlege. Und sie damit totunglücklich mache.

Dennoch nehme ich sie in gewissen Gebieten jetzt eher an die Leine oder bremse sie, wenn sie zu übermütig wird.

Die Chancen, dass so etwas noch mal passiert, sind verschwindend gering.

Aber wenn es passieren soll ...



Abgeschwollen / (c) Landgrafe