Donnerstag, 6. Dezember 2018

Perspektiv-Wechsel oder Wie aus einem Elefant ein Schwan wird

Mir schwant da was... /Zeichnung (c) Landgrafe

Ich fahre auf der Autobahn in einer Baustelle hinter einem LKW her und irgendwann fällt mir dieser Schwan auf den beiden Schmutzlappen hintendran auf.
Ich hab schon einige Tiere auf LKWs gesehen, aber ein Schwan? Nun gut, es gibt ja alles mögliche, denke ich.
Als ich schließlich am Ende der Baustelle näher an den LKW heran fahre, um ihn zu überholen, sehe ich, dass eine hinten quer angebrachte dicke Stange des Rest des Tieres verborgen hat und ich muss lachen - es ist ein Elefant, das Symbol von "Cargobull", das ich eigentlich kenne.
Aus dieser Perspektive ganz klar erkennbar.

Da sind sie, die "Cargo Elefantenbullen" :) / (c) Lesser

Aber mit Abstand, leicht schmutzbehaftet, mit mangelnder Konzentration und ungenauem Hinsehen... ein Schwan!
Wenn ich's mir jetzt so ansehe, hätte es auch "Nessie" sein können *grins*.
Okay, mein Fehler.

Was sind Fehler?
Gibt es Fehler?

Der Duden sagt dazu:
etwas, was falsch ist, vom Richtigen abweicht; Unrichtigkeit
irrtümliche Entscheidung, Maßnahme; Fehlgriff
schlechte Eigenschaft, Mangel
Stelle an einer hergestellten Ware, die nicht so ist, wie sie sein müsste

Ich sag's Euch ganz ehrlich - nein, es gibt keine Fehler! 
Es gibt nur Handlungen und Ergebnisse.
So. Darüber dürft Ihr jetzt erstmal nachdenken.

Jede Handlung / Aktion erzeugt ein Ergebnis, ob uns das gefällt oder nicht.
Es gibt gute Ergebnisse - dann sprechen wir gern von Erfolg.
Es gibt schlechte Ergebnisse - dann sprechen wir oft von Fehlern oder Misserfolg.

Dabei ist "Erfolg" nur etwas, das "erfolgt", nachdem wir etwas getan oder gelassen haben, unabhängig davon, ob es gut oder schlecht für uns ist.

Kommen wir mal mit dieser Info zur Perspektive und dem Bezug zum Hundetraining zurück.

  Beispiel: 
Frau Müller geht mit ihrem Jagdhundmischling "Pepe" im Wald spazieren.
Plötzlich bleibt Pepe abrupt stehen, eine Vorderpfote leicht angehoben und starrt ins Unterholz.
Frau Müller erschrickt und ruft sofort: "Pepe! NEEEEEIIIIINN!!! HIERHER, SOFORT! Kommst du wohl hierher? NEIN!"
Und Pepe startet durch.... leider nicht in Richtung Frauchen, sondern in den Wald hinein.

Lass mich los, ich hab da was gesehen!! ( (c) Schnaubert
  Selbe Situation - Perspektiv-Wechsel - Hundesicht.
Pepe geht mit Frauchen im Wald kontrollieren und jagen.
Plötzlich hört er etwas im Unterholz und bleibt sofort stehen, alle Sinne auf das Geräusch gerichtet. War da wirklich was?
Da regt sich Frauchen plötzlich auf und wird ganz laut und aufgeregt - also ist da bestimmt was! Okay, wenn sie nicht versteht, dass Pepe ihr eigentlich nur etwas zeigen wollte...
Pepe startet durch, um nachzuschauen und die Spannung abzubauen, die sich in ihm aufgebaut hat.

  Wer hat jetzt den "Fehler" begangen - Pepe oder Frau Müller?

  Selbe Situation - andere Handlung = anderes Ergebnis = Erfolg ;)
Frau Müller und Pepe gehen gemeinsam den Wald erkunden.
Frau Müller weiß, dass ein Jagdhund sehr an seiner Umwelt und an Bewegungsreizen interessiert ist und lobt ihn für alles, was er ihr anzeigt, sei es nun ein Wildwechsel oder eine Feder am Boden oder auch einfach nur eine interessante Stelle im Gras. Sie zeigt Interesse und Pepe findet das gut.
Da hört Pepe etwas und steht abrupt vor, um anzuzeigen, das da etwas im Unterholz ist.
Frau Müller sagt ganz ruhig: "Suuuper, Pepe, fein machst du das. Nur schauen! Prima ... So, nun gehen wir weiter."
Und Pepe schaut sich um, wedelt und kommt tatsächlich mit. Denn Frauchen hat Spielzeug dabei, dass sie nun wirft, damit Pepe es hetzen und erbeuten kann.

  Was ist passiert? 
Ganz einfach - der Mensch hat die Perspektive des Hundes angenommen und reagiert auf dessen Bedürfnisse, statt ihm seine eigenen aufzuzwingen. Zudem geht er MIT seinem Hund gemeinsam durch den Wald, beobachtet ihn, agiert und reagiert auf seine Zeichen, anstatt für sich zu sein oder schlimmstenfalls noch mit dem Handy herumzudaddeln.

  Frau Müller kennt die Bedürfnisse ihres Hundes (Spuren suchen, Wild aufstöbern, es anzeigen und hetzen) und nutzt sie, um sein Verhalten zu kontrollieren.
Sie erkennt Pepes Fähigkeiten an, erkennt was er ihr zu sagen hat und reagiert entsprechend, statt dagegen zu handeln und seine Handlungen zu unterdrücken - was meistens sowieso nicht funktioniert.
Dazu hat sie mit Pepe verschiedene Situationen geübt und ihm Alternativen zum Jagen und Hetzen beigebracht ( Spielzeug "jagen und erbeuten", Futter suchen, stehen und beobachten statt zu hetzen etc.).

Hunde gehen nicht spazieren.
Sie kontrollieren ihr Revier, suchen nach Nahrung und Wild und nach passenden Partnern. Dazu nutzen sie alle ihre Sinne. Nimmt der Mensch gezielt und kontrolliert daran teil, wird mit einiger Übung der "Spaziergang" sehr harmonisch.

Ein weiteres Beispiel:
November, es regnet und ist recht kühl. Herr Schulze übt für die Begleithundprüfung mit seinem Rhodesian Ridgeback Rüden Carlos.
Er verlangt ein "Platz!", doch Carlos zögert und schaut ihn fragend an.
Als Herr Schulze energisch das "Platz!!" verlangt, hockt er sich langsam hin, doch er legt sich nicht.
Herr Schulze wird wütend. Der blöde Hund kann das doch! Wieso jetzt nicht?!?

Perspektiv-Wechsel
Carlos und sein Herrchen arbeiten miteinander. Carlos mag das gern, aber heute ist es kalt und nass und als Herrchen das "Platz!" verlangt, zögert er. Ihm ist sowieso schon kalt und er weiß, der Boden ist noch kälter. Nein, hinlegen mag er sich gerade gar nicht gern.
Also fragt er nach, ob das wirklich sein muss.
Herrchen wird lauter und Carlos hat Respekt vor seiner lauten Stimme. Also versucht er einen Kompromiss und bietet ein Hinhocken an, damit sein Po und Bauch nicht das kalte, nasse Gras berühren müssen...

Da zwischen durch? Vergiss es! / (c) Landgrafe
 Muss ein Hund wirklich immer tun, was wir verlangen? 
Nur weil wir es so wollen? 
Ohne dass es einen wirklich wichtigen Grund dafür gibt???
 Ich finde NEIN!!

Intelligenten Ungehorsam nenne ich ein solches Verhalten.
Hunde sind keine Marionetten und wenn sie etwas verweigern, dann sollten wir einmal innehalten und darüber nachdenken, wieso sie das tun.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen "keinen Bock" und "ich kann gerade nicht"!

"Keinen Bock" lasse ich nicht gelten im Training, da bleibe ich mit sehr viel Geduld und Beharrlichkeit dran, bis die Übung 1x gut geklappt hat. Das eine Mal genügt mir dann aber auch. Erstmal.

Bei "Ich kann nicht" hat der Hund einen guten Grund, sich zu verweigern. Diesen gilt es herauszufinden und dann zu schauen, was man statt dessen tun kann - oder ob man überhaupt in diesem Moment etwas tun muss.

So sind bei der Spurensuche viele Hunde am Start so aufgeregt, dass sie nicht sitzen können. Es dennoch zu verlangen gießt Öl ins Feuer - die Hunde werden immer hibbeliger.
Natürlich kann man das nach und nach üben. Aber es generell zu verlangen, obwohl der Hund sich vor Aufregung und Vorfreude fast überschlägt, halte ich für kontraproduktiv. Schließlich soll der Hund Spaß an der Arbeit haben. Und ich finde, strenge Regeln und Spaß schließen einander oftmals aus.

Also denk bitte drüber nach, wieso du deinem Hund sagst, dass er etwas tun soll.
Ist das wirklich gerade nötig?
Würdest du es an seiner Stelle sofort tun?
Gibt es eine Alternative?

In diesem Sinne - macht's gut und wechselt ab und zu mal die Perspektive :)