Mittwoch, 29. Juli 2020

Nur für den Augenblick - ein Post und seine Folgen...


Eingreifen oder laufen lassen? / (c) Signal-Hund

Ich öffne Facebook und scrolle ein wenig. 
Da ist ein Post, ein Baby liegt neben einem Hund in dessen Körbchen. Ich kriege regelmäßig Bauchweh bei solchen Bildern, aus gutem Grund. Warum das so ist, das erkläre ich gleich.

Ich unterdrücke den Impuls, etwas dazu zu schreiben. Das tut jemand anderes für mich, teilt meine Gedanken - und wird natürlich dafür kritisiert, dass er das Thema kritisch anspricht, wie fast immer, wenn man etwas kritisiert.

Obwohl ich nichts dazu sagen wollte, tu ich es nun doch, denn ich sage es euch ganz ehrlich - diese Harmoniesucht und permanente Kritikablehnung bei solchen Beiträgen gehen mir echt auf den Zwirn!

Wenn man nicht sofort "Oh wie süüüüß!" schmettert, ist man raus, wird selbst kritisiert und oftmals angegriffen - weitaus schärfer, als der eigene Kommentar gewesen ist.

Dabei ist es egal, ob es sich um Kinder-Hunde-Bildchen handelt oder andere Fotos oder Videos, in denen ein Hund (oder wahlweise eine Katze, ein Pferd, ein Vogel etc...) in eine Situation gebracht wird, die für ihn alles andere als schön ist. 

Hauptsache es sieht erstmal niedlich aus - oberflächlich betrachtet... 
Denn meistens ist es das nicht.

Mag das der Hund eigentlich?? / (c) Signal-Hund

Doch kommen wir mal zurück zum Augenblick, zum Post, zum Bildchen oder Video.
Warum machen Menschen sowas, denke ich mir dann. Also so etwas zu posten und dann so aggressiv auf Kritik zu reagieren.

Und bin zu folgenden Antworten gekommen:

1. Sie sind stolz auf das was sie da haben und möchten es mit der Welt teilen.
Ja, das kann ich durchaus verstehen. Man hat etwas erreicht oder bekommen und möchte es teilen, andere teilhaben lassen und  - seien wir mal ganz ehrlich - natürlich möchte man dafür Anerkennung von den anderen Menschen in Form von  Likes, Herzchen und netten Kommentaren - sonst würde man das ja nicht posten!! 
Ich finde daran nichts verwerflich, sowas machen wir schließlich alle :)

2. Sie haben keine Ahnung, was sie da dem Hund / anderen Tier und eventuell der Umgebung und anderen Beteiligten antun.
Ja, das sehe ich auch so, und meine das wirklich verteidigend für diese Menschen. Ich glaube echt, Ihr meint das nicht böse, Ihr wisst nur einfach nicht, was Ihr da tut!
Was sehr schade ist, aus meiner Sicht.
Denn damit bringt Ihr Euren Hund in ein Dilemma. Auch das erkläre ich gleich.

3. Durch Kritik fühlen sie sich angegriffen und ungerecht behandelt
Auch das verstehe ich, die meisten Menschen - mich eingeschlossen - mögen Kritik erstmal nicht so gern. Kritik bedeutet, ein anderer Mensch findet mein Handeln falsch, schlecht, doof oder was auch immer.
Fast automatisch wehrt man sich dagegen, bevor man darüber nachdenken will, ob die Kritik vielleicht berechtigt ist. Kennt Ihr auch, oder?

Warum kratzt einen das so sehr, dass man sich erstmal wehren will dagegen? Das ist das eigene Ego, das ja gestreichelt werden wollte. Und nun bekommt es statt dessen einen Klaps. 
Das fühlt sich erstmal unangenehm an. Um nicht zu sagen, echt Scheiße. Sorry für den Ausdruck. Ist aber so, wenn Ihr ehrlich seid.

Kommen wir zum Dilemma, in das Ihr Euren Hund mit solchen kleinen Momentaufnahmen bringt, die Ihr der Welt unbedingt zeigen möchtet.

Wenn Ihr durch viel Geduld oder Training oder wie auch immer einen Erfolg mit Eurem Hund erreicht habt und dieser nun eine vorher schlimme oder zumindest unangenehme Situation jetzt meistern kann, dann bringt ihn doch bitte bitte bitte nicht für ein Beweisfoto wieder in diese unangenehme Situation hinein, nur um der Welt zu zeigen, dass er es jetzt kann.

Denkt bitte einen Augenblick lang darüber nach, wie sich Euer Hund dabei fühlen muss.
Im besten Fall steckt er es weg.
Im blödesten Fall fällt er in altes Verhalten zurück und reagiert seinen Gefühlen entsprechend mit Flucht, Kampf oder Erstarren, bis er weiß, was er tun soll. Was bedeutet, Ihr macht Euch selbst das Training mit Eurem Hund wieder kaputt.
Wie schade.
Für alle Beteiligten.

Und der Grund, warum ich auf "niedliche" Kinder-Hunde-Bildchen oder Videos extrem dünnhäutig reagiere, kommt hier:

Nehmen wir dafür mal ein Bild, bei dessen Anblick mir regelrecht das Herz stehen blieb.
Ein Kleinkind sitzt neben einem Hund auf dem Fußboden. Der Hund trägt einen Kopfreif mit Hasenöhrchen und das Kind küsst ihn seitlich auf die Schnauze.
Och wie süüüüß, möchtet Ihr jetzt schmettern?
Nein, ist es nicht !
Die Schnauze des Hundes ist gerunzelt und man sieht deutlich seine kompletten Frontzähne.

Die Kommentare dazu reichen tatsächlich von "Oh Gott, wie niedlich!" bis "Oh schau, wie der Hund lächelt, der liebt das Baby!" 


Und ich möchte aufgrund der Realitätsfremde und Wahrnehmungsverzerrung dieser Menschen brechen gehen. 
Und denke mir - danke Universum, für die Impulskontrolle dieses tollen Hundes!
Die Frage ist, wie lange sie anhält.

Tausende von Kindern werden jedes Jahr von Hunden gebissen, einige so schwer, dass sie sogar daran sterben.


Witzig? Nicht wirklich!!!

Während meiner Ausbildung zum Trainer für Menschen mit Hund habe ich viele solcher Fotos gesehen, bei den Recherchen zu meinem 
noch mehr davon.

Gerade Kleinkinder weisen grausame Bisswunden in Gesicht, Kopf, Hals und Brust auf, brauchen Hauttransplantationen, sind entstellt für ihr ganzes Leben und haben ein Trauma, was Hunde angeht.


Und die Eltern?
Sind oft ratlos, was da schief gelaufen ist.
Hat der Hund ganz plötzlich gemacht. War immer lieb. Hat sich immer alles gefallen lassen...
Der Hund ist halt schuld. Wie immer.


Darum bin ich oft so wütend, und halte dennoch den Mund bei niedlichen Kinder-Hunde-Bildchen.
Weil die Menschen zu oft nur sehen, was sie sehen wollen.

Da wird dem Hund das Knurren verboten, er soll sich vom Kind alles gefallen lassen, ich sehe Kinder, die auf Hunden sitzen oder liegen oder sie umarmen und küssen, während die Eltern niedliche Bildchen davon machen.


Videos, in denen ein Kind seine Finger zwischen die Zähne eines knurrenden Kleinhundes drückt und sich totlacht, bis der Hund plötzlich zubeißt und dafür geschlagen wird.

Ich möchte schreien: "WACHT AUF! SEHT HIN! DAS IST NICHT WITZIG!"


Aber sie wollen nicht hinsehen.
Sie wollen nicht sehen, dass der Hund sich die Nase leckt, den Kopf wegdreht, das Weiße in seinen Augen zu sehen ist - alles Anzeichen von Stress und dass ihm die Situation total unangenehm ist.

Sie wollen nicht wahrhaben, dass IMMER etwas passieren kann - nicht aus Absicht oder Boshaftigkeit des Hundes, sondern ein schlimmer Unfall, durch blöde Umstände.

Die Ihr als Eltern hättet verhindern können, verdammt nochmal!!


So, jetzt dürft Ihr mich gern kritisieren, weil ich der Schwarzseher bin, der Miesepeter, die nicht "Süüüß" schreit.
Sei's drum.

Ich stehe weiter dazu.
Respektiert bitte die Bedürfnisse und Gefühle Eurer Hunde.
Dann könnte so mancher Unfall vermieden werden.

Ich habe fertig.

P.S.: 
Wer sich näher damit befassen möchte, den lade ich ein, sich in meinem Buch darüber schlau zu machen, was Ihr vermeiden solltet und wie Kind und Hund ein tolles Team werden, ohne Unfall.











Mittwoch, 19. Februar 2020

Alles kommt mal wieder - auch alte Werte?

Bedingungslos Liebe geben - ein enormer Wert! / (c) Schnaubert

Retro ist "in".
Irgendwann kommt alles wieder, was mal in Mode war - egal ob Schlaghosen, bunte Tapeten mit psychedelischen Mustern und Farben, wilde Power-Locken, Art-Deko-Lampen oder Schulterpolster ...

Das lässt mich echt hoffen, dass auch Werte mal wieder in Mode kommen.
Alte Werte - wie Freundlichkeit, Höflichkeit, Rücksichtnahme und Geduld.
Davon gibt es gefühlt immer weniger, hab ich den Eindruck.

Alles muss heutzutage schnell und komplikationsfrei gehen - der Einkauf, die Fahrt von A nach B, das Internet und auch das Hundetraining. Und wehe nicht, dann ist Stress vorprogrammiert und es wird geflucht, geschimpft und an der Leine geruckt...

Ich sag's Euch ganz ehrlich - den Stress macht Ihr Euch selbst, und damit leider auch anderen Menschen und auch Euren Hunden!

Wie ich schon mal schrieb - Atme doch mal tief durch und trete einen Schritt zurück, um Dir das Ganze mal aus ein wenig Distanz anzuschauen. Und dann überlege bitte, wie Du aus diesem Stress-Hamsterrad ausbrechen kannst, damit Du und Dein Hund mehr Ruhe habt.

Muss wirklich alles auf Anhieb klappen?
Bei Dir?
Bei Deinem Hund?
Warum denn?
Wer bestimmt das?
Wieso liegt der Anspruch so hoch?
Macht das die Umwelt?

Die schiefen Blicke von Fremden, wenn Dein Hund mal bellt, an der Leine zieht, sich nicht gut benimmt?
Das Kopfschütteln der Leute, wenn Du Deinen Hund rufst und er Dich großzügig ignoriert?
Die dummen Sprüche schlauer Hundehalter, die es so viel besser wissen als Du und die es ja nur gut mit Dir und Deinem Hund meinen?

Und was macht das mit Dir, in erster Linie?
Macht es Dich verlegen? Wütend? Traurig? Beschämt es Dich?

Ich gestehe - ja, auch ich lasse mich manchmal von meiner Umwelt manipulieren - denn nichts anderes ist es, wenn man etwas tut, was man eigentlich nicht tun würde, es aber trotzdem macht, weil jemand anders zusieht oder es einfordert!
Kompliziert, gell ...

Hinterher bin ich unzufrieden oder schäme mich tatsächlich auch mal.
Weil ich ungerecht zu meinen Hunden war, obwohl ich es doch besser weiß.
Weil ich dem "Umweltdruck" doch mal nachgegeben habe.
Ich ärgere mich dann über mich selbst und knuddle meine Hunde, die keine Ahnung von meinem Dilemma haben und zum Glück auch nicht nachtragend sind.

Was macht es mit uns, dieser Umweltdruck? 
Und was können wir tun, um ihm zu entkommen, bzw. zu verhindern, dass wir ihn so deutlich wahrnehmen und darauf reagieren? Und an unsere Hunde weiter geben...

 Ich sag's nochmal ganz ehrlich - mein Setter ist jetzt fast drei Jahre bei mir und zieht wie ein Stier an der Leine, wenn der Spaziergang los geht! Und auch noch unterwegs. Und erst recht, wenn wir in einer neuen Umgebung unterwegs sind!!

Ja, ich bin Hundetrainer und ja, das Thema könnte längst erledigt sein.
Wenn ich mir die Zeit nehmen würde, es zu erledigen, sprich intensiv mit meiner Hündin trainieren würde. Tu ich aber nur sporadisch. Das Ergebnis ist ein Hund, der an lockerer Leine laufen KANN, wenn er müde ist. Dann ist Gioya weltklasse sensibel, merkt jede kleinste Spannung in der Leine und reagiert mit langsamerem Laufen und nachgeben.

Ansonsten gilt für sie der Satz "Trieb macht doof und unsensibel"!
Wobei man sich jetzt wieder über den Begriff "Trieb" streiten könnte... tun wir aber nicht, denn jeder weiß, was ich damit meine und gut ist.

Gioya ist ein Jagdhund aus Jägerhand, aber nicht wirklich entsprechend ausgebildet, ausgestattet mit reichlich "will to please", aber auch mit Pfeffer im Arsch, einer blitzschnellen Reiz-Reaktions-Maschinerie, kaum Impulskontrolle und einem Mega-Raketen-Antrieb in den Beinen!


Killer-Setter im Anflug! / (c) Schnaubert

"Reh - Olé!!" und schon sprintet sie von 0 auf 100 in eins Komma drei Sekunden los. Bis ich Luft geholt habe, um zu pfeifen, hat sie bereits 50 Meter Wegstrecke zurückgelegt, locker.
Und jetzt kommt der "will to please" zum Einsatz - ein langer Pfiff, maximal zwei und Frau Setter kommt im gleichen Tempo zu mir zurück gefegt! Dann erwartet sie ein freudiges "Yeeeeeeeeyyyyyy" und ihr Spielzeug fliegt, damit sie es erbeuten und tragen kann. Und dannnnn - dann kommt sie an die Leine *grins*. Nur zur Sicherheit. Für das Reh. Und für sie... (Böse Gefahrenquellen im Wald).

Bin ich dann sauer? Nö, ich bin ja selbst Schuld. Mit Schleppleine wär das nicht passiert.
Gebe ich ihr trotzdem die Schuld, dass sie nunmal reagiert, wie ein (Jagd-)Hund reagiert, wenn er ein flüchtendes Tier wahrnimmt? Wie könnte ich!

Es ist ja nunmal so: bei Hunden gibt es von Natur aus keine "denkenden" Synapsen (Nervenverbindungen im Gehirn) zwischen den Sinnesorganen Auge, Ohr und Nase, die melden: "Mögliche Beute (in Bewegung)!!" und der Mototrik, die meist reflexartig angeworfen wird.



Reiz-Reaktions-Schema ... / (c) Signal-Hund

Hören, Sehen, losrennen! ist die Impulskette.
Würde ein Wolf oder anderes Raubtier erstmal drüber nachdenken, was da gerade passiert, was zu tun ist und ob sich der Weg lohnt, würden die meisten von ihnen wohl verhungern.

Wir Menschen müssen also an dieser Stelle im Gehirn sozusagen eine Handbremse einbauen, und das funktioniert nur durch reichlich gezieltes Impulskontroll-Training. Und das funktioniert wiederum nur, wenn wir Menschen die nötige Zeit und Geduld fürs strukturierte Training aufbringen!

Womit wir wieder bei den alten Werten wären...

Also, was machen wir nun mit diesem Dilemma, bestehend aus den Bedürfnissen des Hundes, den unseren und denen der Umwelt? Einen schicken Mix!

Nimm dir doch mal bitte die Zeit, einen Block und einen Stift und schreib mal folgendes für dich auf:
  • Was genau ist MIR / meiner Familie wirklich wichtig im Zusammensein mit meinem Hund? Was soll er unbedingt können, was unbedingt lassen? Und warum?
  • Was ist meinem Hund enorm wichtig? Was davon kann ich ihm ermöglichen, was nicht und welche Alternativen habe ich für ihn oder kann ich erlernen?
  •  Auf was genau reagiert meine Umwelt, wenn ich mit meinem Hund unterwegs bin? Haben die eventuell Recht? Oder einfach nur eine andere Meinung? 
Zum letzten Punkt möchte ich dir gern sagen: deine Freiheit und die deines Hundes endet höflicherweise dort, wo die Freiheit der Umwelt beginnt. Damit meine ich folgendes:
  • Respektiere den "Tanzbereich" deiner Umwelt (#Individualdistanz). Leine deinen Hund an, wenn andere Menschen oder Hunde in Sicht kommen. Manche Menschen haben nunmal Angst vor Hunden und nicht jeder Hund mag andere Hunde gern.
  • Lass ihn nicht in fremde Vorgärten oder auf Spielplätzen markieren. Das ist respektlos und eklig. Das Markieren von Hausecken, Autoreifen und Mülltonnen übrigens auch :(
  • Lass ihn nicht endlos bellen. Das nervt nämlich auch hundefreundliche Menschen!
  • Sichere ihn im Wald, wenn er jagdlich ambitioniert ist - auch Wildtiere haben ein Recht auf Ruhe und Unversehrtheit.
  • Sammle bitte seine Hundehaufen ein - dazu gibt es bald einen eigenen Post, in dem ich dir gern erkläre, dass es dafür mehr Gründe gibt als nur den Ekelfaktor!

Wenn du all das schon tust und auch noch freundlich zu deinem Hund bist, sollte dir niemand etwas zu sagen haben :) Und falls doch, darfst du denjenigen ruhig mit seiner Meinung da stehen lassen, wo er steht.
Meinung kommt nämlich von "meins". Sonst hieße es "Deinung" ;) ...