Mittwoch, 19. Februar 2020

Alles kommt mal wieder - auch alte Werte?

Bedingungslos Liebe geben - ein enormer Wert! / (c) Schnaubert

Retro ist "in".
Irgendwann kommt alles wieder, was mal in Mode war - egal ob Schlaghosen, bunte Tapeten mit psychedelischen Mustern und Farben, wilde Power-Locken, Art-Deko-Lampen oder Schulterpolster ...

Das lässt mich echt hoffen, dass auch Werte mal wieder in Mode kommen.
Alte Werte - wie Freundlichkeit, Höflichkeit, Rücksichtnahme und Geduld.
Davon gibt es gefühlt immer weniger, hab ich den Eindruck.

Alles muss heutzutage schnell und komplikationsfrei gehen - der Einkauf, die Fahrt von A nach B, das Internet und auch das Hundetraining. Und wehe nicht, dann ist Stress vorprogrammiert und es wird geflucht, geschimpft und an der Leine geruckt...

Ich sag's Euch ganz ehrlich - den Stress macht Ihr Euch selbst, und damit leider auch anderen Menschen und auch Euren Hunden!

Wie ich schon mal schrieb - Atme doch mal tief durch und trete einen Schritt zurück, um Dir das Ganze mal aus ein wenig Distanz anzuschauen. Und dann überlege bitte, wie Du aus diesem Stress-Hamsterrad ausbrechen kannst, damit Du und Dein Hund mehr Ruhe habt.

Muss wirklich alles auf Anhieb klappen?
Bei Dir?
Bei Deinem Hund?
Warum denn?
Wer bestimmt das?
Wieso liegt der Anspruch so hoch?
Macht das die Umwelt?

Die schiefen Blicke von Fremden, wenn Dein Hund mal bellt, an der Leine zieht, sich nicht gut benimmt?
Das Kopfschütteln der Leute, wenn Du Deinen Hund rufst und er Dich großzügig ignoriert?
Die dummen Sprüche schlauer Hundehalter, die es so viel besser wissen als Du und die es ja nur gut mit Dir und Deinem Hund meinen?

Und was macht das mit Dir, in erster Linie?
Macht es Dich verlegen? Wütend? Traurig? Beschämt es Dich?

Ich gestehe - ja, auch ich lasse mich manchmal von meiner Umwelt manipulieren - denn nichts anderes ist es, wenn man etwas tut, was man eigentlich nicht tun würde, es aber trotzdem macht, weil jemand anders zusieht oder es einfordert!
Kompliziert, gell ...

Hinterher bin ich unzufrieden oder schäme mich tatsächlich auch mal.
Weil ich ungerecht zu meinen Hunden war, obwohl ich es doch besser weiß.
Weil ich dem "Umweltdruck" doch mal nachgegeben habe.
Ich ärgere mich dann über mich selbst und knuddle meine Hunde, die keine Ahnung von meinem Dilemma haben und zum Glück auch nicht nachtragend sind.

Was macht es mit uns, dieser Umweltdruck? 
Und was können wir tun, um ihm zu entkommen, bzw. zu verhindern, dass wir ihn so deutlich wahrnehmen und darauf reagieren? Und an unsere Hunde weiter geben...

 Ich sag's nochmal ganz ehrlich - mein Setter ist jetzt fast drei Jahre bei mir und zieht wie ein Stier an der Leine, wenn der Spaziergang los geht! Und auch noch unterwegs. Und erst recht, wenn wir in einer neuen Umgebung unterwegs sind!!

Ja, ich bin Hundetrainer und ja, das Thema könnte längst erledigt sein.
Wenn ich mir die Zeit nehmen würde, es zu erledigen, sprich intensiv mit meiner Hündin trainieren würde. Tu ich aber nur sporadisch. Das Ergebnis ist ein Hund, der an lockerer Leine laufen KANN, wenn er müde ist. Dann ist Gioya weltklasse sensibel, merkt jede kleinste Spannung in der Leine und reagiert mit langsamerem Laufen und nachgeben.

Ansonsten gilt für sie der Satz "Trieb macht doof und unsensibel"!
Wobei man sich jetzt wieder über den Begriff "Trieb" streiten könnte... tun wir aber nicht, denn jeder weiß, was ich damit meine und gut ist.

Gioya ist ein Jagdhund aus Jägerhand, aber nicht wirklich entsprechend ausgebildet, ausgestattet mit reichlich "will to please", aber auch mit Pfeffer im Arsch, einer blitzschnellen Reiz-Reaktions-Maschinerie, kaum Impulskontrolle und einem Mega-Raketen-Antrieb in den Beinen!


Killer-Setter im Anflug! / (c) Schnaubert

"Reh - Olé!!" und schon sprintet sie von 0 auf 100 in eins Komma drei Sekunden los. Bis ich Luft geholt habe, um zu pfeifen, hat sie bereits 50 Meter Wegstrecke zurückgelegt, locker.
Und jetzt kommt der "will to please" zum Einsatz - ein langer Pfiff, maximal zwei und Frau Setter kommt im gleichen Tempo zu mir zurück gefegt! Dann erwartet sie ein freudiges "Yeeeeeeeeyyyyyy" und ihr Spielzeug fliegt, damit sie es erbeuten und tragen kann. Und dannnnn - dann kommt sie an die Leine *grins*. Nur zur Sicherheit. Für das Reh. Und für sie... (Böse Gefahrenquellen im Wald).

Bin ich dann sauer? Nö, ich bin ja selbst Schuld. Mit Schleppleine wär das nicht passiert.
Gebe ich ihr trotzdem die Schuld, dass sie nunmal reagiert, wie ein (Jagd-)Hund reagiert, wenn er ein flüchtendes Tier wahrnimmt? Wie könnte ich!

Es ist ja nunmal so: bei Hunden gibt es von Natur aus keine "denkenden" Synapsen (Nervenverbindungen im Gehirn) zwischen den Sinnesorganen Auge, Ohr und Nase, die melden: "Mögliche Beute (in Bewegung)!!" und der Mototrik, die meist reflexartig angeworfen wird.



Reiz-Reaktions-Schema ... / (c) Signal-Hund

Hören, Sehen, losrennen! ist die Impulskette.
Würde ein Wolf oder anderes Raubtier erstmal drüber nachdenken, was da gerade passiert, was zu tun ist und ob sich der Weg lohnt, würden die meisten von ihnen wohl verhungern.

Wir Menschen müssen also an dieser Stelle im Gehirn sozusagen eine Handbremse einbauen, und das funktioniert nur durch reichlich gezieltes Impulskontroll-Training. Und das funktioniert wiederum nur, wenn wir Menschen die nötige Zeit und Geduld fürs strukturierte Training aufbringen!

Womit wir wieder bei den alten Werten wären...

Also, was machen wir nun mit diesem Dilemma, bestehend aus den Bedürfnissen des Hundes, den unseren und denen der Umwelt? Einen schicken Mix!

Nimm dir doch mal bitte die Zeit, einen Block und einen Stift und schreib mal folgendes für dich auf:
  • Was genau ist MIR / meiner Familie wirklich wichtig im Zusammensein mit meinem Hund? Was soll er unbedingt können, was unbedingt lassen? Und warum?
  • Was ist meinem Hund enorm wichtig? Was davon kann ich ihm ermöglichen, was nicht und welche Alternativen habe ich für ihn oder kann ich erlernen?
  •  Auf was genau reagiert meine Umwelt, wenn ich mit meinem Hund unterwegs bin? Haben die eventuell Recht? Oder einfach nur eine andere Meinung? 
Zum letzten Punkt möchte ich dir gern sagen: deine Freiheit und die deines Hundes endet höflicherweise dort, wo die Freiheit der Umwelt beginnt. Damit meine ich folgendes:
  • Respektiere den "Tanzbereich" deiner Umwelt (#Individualdistanz). Leine deinen Hund an, wenn andere Menschen oder Hunde in Sicht kommen. Manche Menschen haben nunmal Angst vor Hunden und nicht jeder Hund mag andere Hunde gern.
  • Lass ihn nicht in fremde Vorgärten oder auf Spielplätzen markieren. Das ist respektlos und eklig. Das Markieren von Hausecken, Autoreifen und Mülltonnen übrigens auch :(
  • Lass ihn nicht endlos bellen. Das nervt nämlich auch hundefreundliche Menschen!
  • Sichere ihn im Wald, wenn er jagdlich ambitioniert ist - auch Wildtiere haben ein Recht auf Ruhe und Unversehrtheit.
  • Sammle bitte seine Hundehaufen ein - dazu gibt es bald einen eigenen Post, in dem ich dir gern erkläre, dass es dafür mehr Gründe gibt als nur den Ekelfaktor!

Wenn du all das schon tust und auch noch freundlich zu deinem Hund bist, sollte dir niemand etwas zu sagen haben :) Und falls doch, darfst du denjenigen ruhig mit seiner Meinung da stehen lassen, wo er steht.
Meinung kommt nämlich von "meins". Sonst hieße es "Deinung" ;) ...